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Georg Büchner,
"Woyzeck"

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Anmerkung: Woyzeck ist Fragment geblieben; es kam aufgrund des verfrühten Todes von Büchner nie zur Fertigstellung. Auch die Anordnung der Szenen ist nie vollständig festgelegt worden, so gibt es heute mehrere plausible Fassungen. Der vorliegende Text hält sich an die Anordnung der Reclam Ausgabe Nr. 18420. Weiters ist bis heute Büchners Handschrift nicht vollständig entziffert, sodass einige Passagen lückenhaft bleiben.

1.Szene (= H 4,1)

Freies Feld. Die Stadt in der Ferne.
Woyzeck und Andres schneiden Stöcke im Gebüsch.


WOYZECK. Ja Andres; den Streif da über das Gras hin, da rollt Abends der Kopf, es hob ihn einmal einer auf, er meint' es wär' ein Igel. Drei Tag und drei Nächt und er lag auf den Hobelspänen Leise. Andres, das waren die Freimaurer, ich hab's, die Freimaurer, still!

ANDRES singt.

Saßen dort zwei Hasen,

Fraßen ab das grüne, grüne Gras ...

WOYZECK. Still! Es geht was!

ANDRES.

Fraßen ab das grüne, grüne Gras

Bis auf den Rasen.

WOYZECK. Es geht hinter mir, unter mir Stampft auf den Boden. hohl, hörst du? Alles hohl da unten. Die Freimaurer!

ANDRES. Ich fürcht mich.

WOYZECK. S' ist so kurios still. Man möcht den Athem halten. Andres!

ANDRES. Was?

WOYZECK. Red was! Starrt in die Gegend. Andres! Wie hell! Ein Feuer fährt um den Himmel und ein Getös herunter wie Posaunen. Wie's heraufzieht! Fort. Sieh nicht hinter dich. Reißt ihn in's Gebüsch.

ANDRES nach einer Pause. Woyzeck! hörst du's noch?

WOYZECK. Still, Alles still, als wär die Welt todt.

ANDRES. Hörst du? Sie trommeln drin. Wir müssen fort.




2. Szene (= H 4,2)

Marie (mit ihrem Kind am Fenster). Margreth.
Der Zapfenstreich geht vorbei, der Tambourmajor voran.

MARIE das Kind wippend auf dem Arm. He Bub! Sa ra ra ra! Hörst? Da komme sie.

MARGRETH. Was ein Mann, wie ein Baum.

MARIE. Er steht auf seinen Füßen wie ein Löw.


Tambourmajor grüßt.


MARGRETH. Ey, was freundliche Auge, Frau Nachbarin, so was is man an ihr nit gewöhnt.

MARIE singt.

Soldaten das sind schöne Bursch ...

MARGRETH. Ihre Auge glänze ja noch.

MARIE. Und wenn! Trag Sie Ihre Auge zum Jud und laß Sie sie putze, vielleicht glänze sie noch, daß man sie für zwei Knöpf verkaufe könnt.

MARGRETH. Was Sie? Sie? Frau Jungfer, ich bin eine honette Person, aber Sie, Sie guckt 7 Paar lederne Hose durch.

MARIE. Luder! Schlägt das Fenster zu. Komm mein Bub. Was die Leut wollen. Bist doch nur en arm Hurenkind und machst deiner Mutter Freud mit deim unehrliche Gesicht. Sa! Sa! Singt.


Mädel, was fangst du jezt an?

Hast ein klein Kind und kein Mann.

Ey was frag ich danach,

Sing ich die ganze Nacht

Heyo popeio mein Bu. Juchhe!

Giebt mir kein Mensch nix dazu.


Hansel spann deine sechs Schimmel an,

Gieb ihn zu fresse auf's neu.

Kein Haber fresse sie,

Kein Wasser saufe sie,

Lauter kühle Wein muß es seyn. Juchhe!

Lauter kühle Wein muß es seyn.


Es klopft am Fenster.

MARIE. Wer da? Bist du's Franz? Komm herein!

WOYZECK. Kann nit. Muß zum Verles.

MARIE. Was hast du Franz?

WOYZECK geheimnißvoll. Marie, es war wieder was, viel, steht nicht geschrieben: und sieh da ging ein Rauch vom Land, wie der Rauch vom Ofen?

MARIE. Mann!

WOYZECK. Es ist hinter mir gegangen bis vor die Stadt. Was soll das werden?

MARIE. Franz!

WOYZECK. Ich muß fort. Er geht.

MARIE. Der Mann! So vergeistert. Er hat sein Kind nicht angesehn. Er schnappt noch über mit den Gedanken. Was bist so still, Bub? Furchst' dich? Es wird so dunkel, man meint, man wär blind. Sonst scheint doch als die Latern herein. Ich halt's nicht aus. Es schauert mich. Geht ab.




3. Szene (= H 1,1 und H 1,2 sowie H 2,3 und H 2,5)

Buden. Lichter. Volk.


ALTER MANN. KIND das tanzt.

Auf der Welt ist kein Bestand,

Wir müssen alle sterben,

Das ist uns wohlbekannt!

Hey! Hopsa! Arm Mann, alter Mann! Arm Kind! Jung Kind! Sorgen und Fest! Hey Louisel, soll ich dich [Satz bricht ab.]
Ein Mensch muß auch der Narr von Verstand seyn, damit er sagen kann: Narrisch Welt! Schön Welt!

AUSRUFER vor einer Bude. Meine Herrn, meine Damen, hier sind zu sehn das astronomische Pferd und die kleine Canaillevogel, sind Liebling von alle Potentate Europas und Mitglied von alle gelehrte Societät, verkündige de Leute Alles, wie alt, wie viel Kinder, was für Krankheit. Schießt Pistol los, stellt sich auf ein Bein. Alles Erziehung, habe nur eine viehische Vernunft, oder vielmehr eine ganz vernünftige Viehigkeit, ist kein viehdummes Individuum wie viel Person, das verehrliche Publikum abgerechnet. Herein. Es wird sein, die rapräsentation. Das commencement vom commencement wird sogleich nehm sein Anfang.
Meine Herren! Meine Herren! Sehn Sie die Creatur, wie sie Gott gemacht, nix, gar nix. Sehen Sie jezt die Kunst, geht aufrecht hat Rock und Hosen, hat ein Säbel! Ho! Mach Compliment! So bist Baron. Gieb Kuß! Er trompetet. Michel ist musikalisch.
Sehn Sie die Fortschritte der Civilisation. Alles schreitet fort, ein Pferd, ein Aff, ein Canaillevogel! Der Aff ist schon ein Soldat, s'ist noch nit viel, unterst Stuf von menschliche Geschlecht! Die Rapräsentation anfangen! Man mackt Anfang von Anfang. Es wird sogleich sein das commencement von commencement.

WOYZECK. Willst du?

MARGRETH [MARIE]. Meinetwege. Das muß schön Dings seyn. Was der Mensch Quasten hat und die Frau hat Hosen.


Unterofficier. Tambourmajor.


UNTEROFFICIER. Halt, jezt. Siehst du sie! Was n' Weibsbild.

TAMBOURMAJOR. Teufel, zum Fortpflanzen von Kürassierregimenter und zur Zucht von Tambourmajors!

UNTEROFFICIER. Wie sie den Kopf trägt, man meint das schwarz Haar müßt sie abwärts ziehn, wie ein Gewicht, und Auge, schwarz ...

TAMBOURMAJOR. Als ob man in ein Ziehbrunn oder zu eim Schornstein hinabguckt. Fort hinte drein.

LOUISEL [MARIE]. Was Lichter, mei Auge!

FRANZ [WOYZECK]. Ja de Brandwein, ein Faß schwarz Katze mit feurige Auge. Hei, was n' Abend.


Das Innere der Bude


MARKTSCHREIER. Zeig' dein Talent! zeig deine viehische Vernünftigkeit! Beschäm die menschlich Societät! Meine Herren, dieß Thier, das Sie da sehn, Schwanz am Leib, auf sei 4 Hufe ist Mitglied von alle gelehrte Societät, ist Professor an unse Universität, wo die Studente bey ihm reiten und schlage lerne. Das war einfacher Verstand. Denk jezt mit der doppelte raison. Was machst du wann du mit der doppelte Raison denkst? Ist unter der gelehrte Société da ein Esel? Der Gaul schüttelt den Kopf. Sehn Sie jezt die doppelte Räson? Das ist Viehsionomik. Ja das ist kei viehdummes Individuum, das ist eine Person. Ei Mensch, ei thierisch Mensch und doch ei Vieh, ei bête. Das Pferd führt sich ungebührlich auf. So beschäm die société. Sehn Sie das Vieh ist noch Natur, unideale Natur! Lern Sie bey ihm. Fragen Sie den Arzt, es ist höchst schädlich. Das hat geheiße: Mensch sey natürlich. Du bist geschaffe Staub, Sand, Dreck. Willst du mehr seyn, als Staub, Sand, Dreck? Sehn Sie was Vernunft, es kann rechnen und kann doch nit an de Finger herzählen, warum? Kann sich nur nit ausdrücke, nur nit explicirn, ist ein verwandelter Mensch! Sag den Herrn, wieviel Uhr es ist. Wer von den Herrn und Damen hat eine Uhr, eine Uhr?

UNTEROFFICIER [TAMBOUR-MAJOR]. Eine Uhr! Zieht großartig und gemessen die Uhr aus der Tasche. Da mein Herr.

Das ist ein Weibsbild guckt siebe Paar lederne Hose durch.

MARGRETH [MARIE]. Das muß ich sehn. Sie klettert auf den ersten Platz. Unterofficier [Tambour- Major] hilft ihr.

UNTEROFFICIER [TAMBOUR-MAJOR] Entwurf bricht ab.



4. Szene (= H 4,4)

Marie sitzt, ihr Kind auf dem Schoß, ein Stückchen Spiegel in der Hand.

MARIE bespiegelt sich. Was die Steine glänze! Was sind's für? Was hat er gesagt? – Schlaf Bub! Drück die Auge zu, fest, Das Kind versteckt die Augen hinter den Händen. noch fester, bleib so, still oder er holt dich. Singt.

Mädel mach's Ladel zu,

S' kommt e Zigeunerbu,

Führt dich an deiner Hand

Fort in's Zigeunerland.

Spiegelt sich wieder. S' ist gewiß Gold! Unseins hat nur ein Eckchen in der Welt und ein Stückchen Spiegel und doch hab' ich einen so rothen Mund als die großen Madamen mit ihren Spiegeln von oben bis unten und ihren schönen Herrn, die ihnen die Händ küssen, ich bin nur ein arm Weibsbild. – Das Kind richtet sich auf. Still Bub, die Auge zu, das Schlafengelchen! wie's an der Wand läuft, Sie blinkt mit dem Glas. die Auge zu, oder es sieht dir hinein, daß du blind wirst.

Woyzeck tritt herein, hinter sie.
Sie fährt auf mit den Händen nach den Ohren.

WOYZECK. Was hast du?

MARIE. Nix.

WOYZECK. Unter deinen Fingern glänzt's ja.

MARIE. Ein Ohrringlein; hab's gefunden.

WOYZECK. Ich hab so noch nix gefunden. Zwei auf einmal.

MARIE. Bin ich ein Mensch?

WOYZECK. S' ist gut, Marie. – Was der Bub schläft. Greif' ihm unter's Aermchen der Stuhl drückt ihn. Die hellen Tropfen steh'n ihm auf der Stirn; Alles Arbeit unter der Sonn, sogar Schweiß im Schlaf. Wir arme Leut! Da is wieder Geld Marie, die Löhnung und was von mein'm Hauptmann.

MARIE. Gott vergelt's Franz.

WOYZECK. Ich muß fort. Heut Abend, Marie. Adies.

MARIE allein, nach einer Pause. Ich bin doch ein schlecht Mensch. Ich könnt' mich erstechen. – Ach! Was Welt? Geht doch Alles zum Teufel, Mann und Weib.




5. Szene (= H 4,5)

Der Hauptmann. Wozeck

HAUPTMANN. Langsam, Woyzeck, langsam; ein's nach dem andern. Er macht mir ganz schwindlich. Was soll ich dann mit den zehn Minuten anfangen, die Er heut zu früh fertig wird? Woyzeck, bedenk' Er, Er hat noch seine schöne dreißig Jahr zu leben, dreißig Jahr! macht 360 Monate, und Tage, Stunden, Minuten! Was will Er denn mit der ungeheuren Zeit all anfangen? Theil Er sich ein, Woyzeck.

WOYZECK. Ja wohl, Herr Hauptmann.

HAUPTMANN. Es wird mir ganz angst um die Welt, wenn ich an die Ewigkeit denke. Beschäftigung, Woyzeck, Beschäftigung! ewig das ist ewig, das ist ewig, das siehst du ein; nun ist es aber wieder nicht ewig und das ist ein Augenblick, ja, ein Augenblick – Woyzeck, es schaudert mich, wenn ich denk, daß sich die Welt in einem Tag herumdreht, was n'e Zeitverschwendung, wo soll das hinaus? Woyzeck, ich kann kein Mühlrad mehr sehn, oder ich werd' melancholisch.

WOYZECK. Ja wohl, Herr Hauptmann.

HAUPTMANN. Woyzeck Er sieht immer so verhetzt aus. Ein guter Mensch thut das nicht, ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat. – Red' Er doch was Woyzeck. Was ist heut für Wetter?

WOYZECK. Schlimm, Herr Hauptmann, schlimm; Wind.

HAUPTMANN. Ich spür's schon, s' ist so was Geschwindes draußen; so ein Wind macht mir den Effect wie eine Maus. Pfiffig. Ich glaub' wir haben so was aus Süd-Nord.

WOYZECK. Ja wohl, Herr Hauptmann.

HAUPTMANN. Ha! ha! ha! Süd-Nord! Ha! Ha! Ha! O Er ist dumm, ganz abscheulich dumm. Gerührt. Woyzeck, Er ist ein guter Mensch, ein guter Mensch – aber Mit Würde. Woyzeck, Er hat keine Moral! Moral das ist wenn man moralisch ist, versteht Er. Es ist ein gutes Wort. Er hat ein Kind, ohne den Segen der Kirche, wie unser hochehrwürdiger Herr Garnisonsprediger sagt, ohne den Segen der Kirche, es ist nicht von mir.

WOYZECK. Herr Hauptmann, der liebe Gott wird den armen Wurm nicht drum ansehn, ob das Amen drüber gesagt ist, eh' er gemacht wurde. Der Herr sprach: Lasset die Kindlein zu mir kommen.

HAUPTMANN. Was sagt Er da? Was ist das für n'e kuriose Antwort? Er macht mich ganz confus mit seiner Antwort. Wenn ich sag: Er, so mein ich Ihn, Ihn.

WOYZECK. Wir arme Leut. Sehn Sie, Herr Haupt mann, Geld, Geld. Wer kein Geld hat. Da setz eimal einer seinsgleichen auf die Moral in die Welt. Man hat auch sein Fleisch und Blut. Unseins ist doch einmal unseelig in der und der andern Welt, ich glaub' wenn wir in Himmel kämen so müßten wir donnern helfen.

HAUPTMANN. Woyzeck Er hat keine Tugend, Er ist kein tugendhafter Mensch. Fleisch und Blut? Wenn ich am Fenster lieg, wenn's geregnet hat und den weißen Strümpfen so nachsehe wie sie über die Gassen springen, – verdammt Woyzeck, – da kommt mir die Liebe. Ich hab auch Fleisch und Blut. Aber Woyzeck, die Tugend, die Tugend! Wie sollte ich dann die Zeit herumbringen? ich sag' mir immer: Du bist ein tugendhafter Mensch, Gerührt. ein guter Mensch, ein guter Mensch.

WOYZECK. Ja Herr Hauptmann, die Tugend! ich hab's noch nicht so aus. Sehn Sie, wir gemeine Leut, das hat keine Tugend, es kommt einem nur so die Natur, aber wenn ich ein Herr wär und hätt ein Hut und eine Uhr und eine anglaise und könnt vornehm reden, ich wollt schon tugendhaft seyn. Es muß was Schöns seyn um die Tugend, Herr Hauptmann. Aber ich bin ein armer Kerl.

HAUPTMANN. Gut Woyzeck. Du bist ein guter Mensch, ein guter Mensch. Aber du denkst zuviel, das zehrt, du siehst immer so verhetzt aus. Der Diskurs hat mich ganz angegriffen. Geh' jezt und renn nicht so; langsam hübsch langsam die Straße hinunter.



 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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