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Kapitel 4 - 6



Viertes Kapitel. Die Wohnung des Kaninchens

Es war das weiße Kaninchen, das langsam zurückgewandert kam, indem es sorgfältig beim Gehen umhersah, als ob es etwas verloren hätte, und sie hörte wie es für sich murmelte: »die Herzogin! die Herzogin! Oh, meine weichen Pfoten! o mein Fell und Knebelbart! Sie wird mich hängen lassen, so gewiß Frettchen Frettchen sind! Wo ich sie kann haben fallen lassen, begreife ich nicht!« Alice errieth augenblicklich, daß es den Fächer und die weißen Glaceehandschuhe meinte, und gutmüthig genug fing sie an, danach umher zu suchen, aber sie waren nirgends zu sehen – Alles schien seit ihrem Bade in dem Pfuhl verwandelt zu sein, und der große Corridor mit dem Glastische und der kleinen Thür war gänzlich verschwunden.

Das Kaninchen erblickte Alice bald, und wie sie überall suchte, rief es ihr ärgerlich zu: »Was, Marianne, was hast du hier zu schaffen? Renne augenblicklich nach Hause, und hole mir ein Paar Handschuhe und einen Fächer! Schnell, vorwärts!« Alice war so erschrocken, daß sie schnell in der angedeuteten Richtung fortlief, ohne ihm zu erklären, daß es sich versehen habe.

»Es hält mich für sein Hausmädchen,« sprach sie bei sich selbst und lief weiter. »Wie es sich wundern wird, wenn es erfährt, wer ich bin! Aber ich will ihm lieber seinen Fächer und seine Handschuhe bringen – nämlich, wenn ich sie finden kann.« Wie sie so sprach, kam sie an ein nettes kleines Haus, an dessen Thür ein glänzendes Messingschild war mit dem Namen »W. Kaninchen« darauf. Sie ging hinein ohne anzuklopfen, lief die Treppe hinauf, in großer Angst, der wirklichen Marianne zu begegnen und zum Hause hinausgewiesen zu werden, ehe sie den Fächer und die Handschuhe gefunden hätte.

»Wie komisch es ist,« sagte Alice bei sich, »Besorgungen für ein Kaninchen zu machen! Vermuthlich wird mir Dinah nächstens Aufträge geben!« Und sie dachte sich schon aus, wie es Alles kommen würde:

»Fräulein Alice! Kommen Sie gleich, es ist Zeit zum Ausgehen für Sie!« »Gleich Kinderfrau! aber ich muß dieses Mäuseloch hier bewachen bis Dinah wiederkommt, und aufpassen, daß die Maus nicht herauskommt.« »Nur würde Dinah,« dachte Alice weiter, »gewiß nicht im Hause bleiben dürfen, wenn sie anfinge, die Leute so zu commandiren.«

Mittlerweile war sie in ein sauberes kleines Zimmer gelangt, mit einem Tisch vor dem Fenster und darauf (wie sie gehofft hatte) ein Fächer und zwei oder drei Paar winziger weißer Glaceehandschuhe; sie nahm den Fächer und ein Paar Handschuhe und wollte eben das Zimmer verlassen, als ihr Blick auf ein Fläschchen fiel, das bei dem Spiegel stand. Diesmal war kein Zettel mit den Worten »Trink mich« darauf, aber trotzdem zog sie den Pfropfen heraus und setzte es an die Lippen. »Ich weiß, etwas Merkwürdiges muß geschehen, sobald ich esse oder trinke; drum will ich versuchen, was dies Fläschchen thut. Ich hoffe, es wird mich wieder größer machen; denn es ist mir sehr langweilig, solch winzig kleines Ding zu sein!«

Richtig, und zwar schneller als sie erwartete: ehe sie das Fläschchen halb ausgetrunken hatte fühlte sie, wie ihr Kopf an die Decke stieß, und mußte sich rasch bücken, um sich nicht den Hals zu brechen. Sie stellte die Flasche hin, indem sie zu sich sagte: »Das ist ganz genug – ich hoffe, ich werde nicht weiter wachsen – ich kann so schon nicht zur Thüre hinaus – hätte ich nur nicht so viel getrunken!«

O weh! es war zu spät, dies zu wünschen. Sie wuchs und wuchs, und mußte sehr bald auf den Fußboden niederknien; den nächsten Augenblick war selbst dazu nicht Platz genug, sie legte sich nun hin, mit einem Ellbogen gegen die Thür gestemmt und den andern Arm unter dem Kopfe. Immer noch wuchs sie, und als letzte Hülfsquelle streckte sie einen Arm zum Fenster hinaus und einen Fuß in den Kamin hinauf, und sprach zu sich selbst: »Nun kann ich nicht mehr thun, was auch geschehen mag. Was wird nur aus mir werden?«

Zum Glück für Alice hatte das Zauberfläschchen nun seine volle Wirkung gehabt, und sie wuchs nicht weiter. Aber es war sehr unbequem, und da durchaus keine Aussicht war, daß sie je wieder aus dem Zimmer hinaus komme, so war sie natürlich sehr unglücklich.

»Es war viel besser zu Hause,« dachte die arme Alice, »wo man nicht fortwährend größer und kleiner wurde, und sich nicht von Mäusen und Kaninchen commandiren zu lassen brachte. Ich wünschte fast, ich wäre nicht in den Kaninchenbau hineingelaufen – aber – aber, es ist doch komisch, diese Art Leben! Ich möchte wohl wissen, was eigentlich mit mir vorgegangen ist! Wenn ich Märchen gelesen habe, habe ich immer gedacht, so etwas käme nie vor, nun bin ich mitten drin in einem! Es sollte ein Buch von mir geschrieben werden, und wenn ich groß bin, will ich eins schreiben – aber ich bin ja jetzt groß,« sprach sie betrübt weiter, »wenigstens hier habe ich keinen Platz übrig, noch größer zu werden.«

»Aber,« dachte Alice, »werde ich denn nie älter werden, als ich jetzt bin? das ist ein Trost – nie eine alte Frau zu sein – aber dann – immer Aufgaben zu lernen zu haben! Oh, das möchte ich nicht gern!«

»O, du einfältige Alice,« schalt sie sich selbst. »Wie kannst du hier Aufgaben lernen? Sieh doch, es ist kaum Platz genug für dich, viel weniger für irgend ein Schulbuch!«

Und so redete sie fort; erst als eine Person, dann die andere, und hatte so eine lange Unterhaltung mit sich selbst; aber nach einigen Minuten hörte sie draußen eine Stimme und schwieg still, um zu horchen.

»Marianne! Marianne!« sagte die Stimme, »hole mir gleich meine Handschuhe!« dann kam ein Trappeln von kleinen Füßen die Treppe herauf. Alice wußte, daß es das Kaninchen war, das sie suchte, und sie zitterte so sehr, daß sie das ganze Haus erschütterte; sie hatte ganz vergessen, daß sie jetzt wohl tausend Mal so groß wie das Kaninchen war und keine Ursache hatte, sich vor ihm zu fürchten.

Jetzt kam das Kaninchen an die Thür und wollte sie aufmachen; da aber die Thür nach innen aufging und Alice's Ellbogen fest dagegen gestemmt war, so war es ein vergeblicher Versuch. Alice hörte, wie es zu sich selbst sprach: »dann werde ich herum gehen und zum Fenster hineinsteigen.«

»Das wirst du nicht thun,« dachte Alice, und nachdem sie gewartet hatte, bis sie das Kaninchen dicht unter dem Fenster zu hören glaubte, streckte sie mit einem Male ihre Hand aus und griff in die Luft. Sie faßte zwar nichts, hörte aber eine schwachen Schrei und einen Fall, dann das Geklirr von zerbrochenem Glase, woraus sie schloß, daß es wahrscheinlich in ein Gurkenbeet gefallen sei, oder etwas dergleichen.

Demnächst kam eine ärgerliche Stimme – die des Kaninchens – »Pat! Pat! wo bist du?« und dann eine Stimme, die sie noch nicht gehört hatte: »Wo soll ich sind? ich bin hier! grabe Aepfel aus, Euer Jnaden!«

»Aepfel ausgraben? so!« sagte das Kaninchen ärgerlich. »Hier! komm und hilf mir heraus!« (Noch mehr Geklirr von Glasscherben.)

»Nun sage mir, Pat, was ist das da oben im Fenster?«

»Wat soll's sind? 's is en Arm, Euer Jnaden!« (Er sprach es »Arrum« aus.)

»Ein Arm, du Esel! Wer hat je einen so großen Arm gesehen? er nimmt ja das ganze Fenster ein!«

»Zu dienen, des thut er, Eurer Jnaden; aber en Arm is es, und en Arm bleebt es.«

»Jedenfalls hat er da nichts zu suchen: geh' und schaffe ihn fort!«

Darauf folgte eine lange Pause, während welcher Alice sie nur einzelne Worte Flüstern hörte, wie: »Zu dienen, des scheint mer nich, Eurer Jnaden, jar nich, jar nich!« »Thu', was ich dir sage, feige Memme!« zuletzt streckte sie die Hand wieder aus und that einen Griff in die Luft. Diesmal hörte sie ein leises Wimmern und noch mehr Geklirr von Glasscherben. »Wie viel Gurkenbeete da sein müssen!« dachte Alice. »Mich soll doch wundern, was sie nun thun werden! Mich zum Fenster hinaus ziehen? ja, wenn sie das nur könnten! Ich bliebe wahrlich nicht länger hier!«

Sie wartete eine Zeit lang, ohne etwas zu hören; endlich kam ein Rollen von kleinen Leiterwagen, und ein Lärm von einer Menge Stimmen, alle durcheinander; sie verstand die Worte: »Wo ist die andere Leiter? – Ich sollte ja nur eine bringen; Wabbel hat die andere – Wabbel, bringe sie her, Junge! – Lehnt sie hier gegen diese Ecke – Nein, sie müssen erst zusammengebunden werden – sie reichen nicht halb hinauf – Ach, was werden sie nicht reichen: seid nicht so umständlich – Hier, Wabbel! fange den Strick – Wird das Dach auch tragen? – Nimm dich mit dem losen Schiefer in Acht – oh, da fällt er! Köpfe weg!« (ein lautes Krachen) – »Wessen Schuld war das? – Wabbel's glaube ich – Wer soll in den Schornstein steigen? – Ich nicht, so viel weiß ich! Ihr aber doch, nicht wahr? – Nicht ich, meiner Treu! – Wabbel kann hineinsteigen – Hier, Wabbel! der Herr sagt, du sollst in den Schornstein steigen!«


»So, also Wabbel soll durch den Schornstein hereinkommen, wirklich?« sagte Alice zu sich selbst. »Sie scheinen mir Alles auf Wabbel zu schieben: ich möchte um Alles nicht an Wabbel's Stelle sein; der Kamin ist freilich eng, aber etwas werde ich doch wohl mit dem Fuße ausschlagen können!«

Sie zog ihren Fuß so weit her unter, wie sie konnte, und wartete, bis sie ein kleines Thier (sie konnte nicht rathen, was für eine Art es sei) in dem Schornstein kratzen und klettern hörte; als es dicht über ihr war, sprach sie bei sich: »Dies ist Wabbel,« gab einen kräftigen Stoß in die Höhe, und wartete dann der Dinge, die da kommen würden.

Zuerst hörte sie einen allgemeinen Chor: »Da fliegt Wabbel!« dann die Stimme des Kaninchens allein: – »Fangt ihn auf, ihr da bei der Hecke!« darauf Stillschweigen, dann wieder verworrene Stimmen: – »Haltet ihm den Kopf – etwas Branntwein – Ersticke ihn doch nicht – Wie geht's, alter Kerl? Was ist dir denn geschehen? erzähle uns Alles!«

Zuletzt kam eine kleine schwache, quiekende Stimme (»das ist Wabbel,« dachte Alice): »Ich weiß es ja selbst nicht – Keinen mehr, danke! Ich bin schon viel besser – aber ich bin viel zu aufgeregt, um euch zu erzählen – Ich weiß nur, da kommt ein Ding in die Höhe, wie'n Dosen-Stehauf, und auf fliege ich wie 'ne Rackete!«

»Ja, das hast du gethan, alter Kerl!« sagten die Andern.

»Wir müssen das Haus niederbrennen!« rief das Kaninchen; da schrie Alice so laut sie konnte: »Wenn ihr das thut, werde ich Dinah über euch schicken!«

Sogleich entstand tiefes Schweigen, und Alice dachte bei sich: »Was sie wohl jetzt thun werden? Wenn sie Menschenverstand hätten, würden sie das Dach abreißen.« Nach einer oder zwei Minuten fingen sie wieder an sich zu rühren, und Alice hörte das Kaninchen sagen: »Eine Karre voll ist vor der Hand genug.«

»Eine Karre voll was?« dachte Alice; doch blieb sie nicht lange im Zweifel, denn den nächsten Augenblick kam ein Schauer von kleinen Kieseln zum Fenster herein geflogen, von denen ein Paar sie gerade in's Gesicht trafen. »Dem will ich ein Ende machen,« sagte sei bei sich und schrie hinaus: »Das laßt mir gefälligst bleiben!« worauf wieder tiefe Stille erfolgte.

Alice bemerkte mit einigem Erstaunen, daß die Kiesel sich alle in kleine Kuchen verwandelten, als sie auf dem Boden lagen, und dies brachte sie auf einen glänzenden Gedanken. »Wenn ich einen von diesen Kuchen esse,« dachte sie, »wird es gewiß meine Größe verändern; und da ich unmöglich noch mehr wachsen kann, so wird es mich wohl kleiner machen, vermuthe ich.«

Sie schluckte demnach einen kleinen Kuchen herunter, und merkte zu ihrem Entzücken, daß sie sogleich abnahm. Sobald sie klein genug war, um durch die Thür zu gehen, rannte sie zum Hause hinaus, und fand einen förmlichen Auflauf von kleinen Thieren und Vögeln davor. Die arme kleine Eidechse, Wabbel, war in der Mitte, von zwei Meerschweinchen unterstützt, die ihm etwas aus einer Flasche gaben. Es war ein allgemeiner Sturm auf Alice, sobald sie sich zeigte; sie lief aber so schnell sie konnte davon, und kam sicher in ein dichtes Gebüsch.

»Das Nöthigste, was ich nun zu tun habe,« sprach Alice bei sich, wie sie in dem Wäldchen umher wanderte, »ist, meine richtige Größe zu erlangen; und das Zweite, den Weg zu dem wunderhübschen Garten zu finden. Ja, das wird der beste Plan sein.«

Es klang freilich wie ein vortrefflicher Plan, und recht nett und einfach ausgedacht; die einzige Schwierigkeit war, daß sie nicht den geringsten Begriff hatte, wie sie ihn ausführen sollte; und während sie so ängstlich zwischen den Bäumen umherguckte, hörte sie plötzlich ein scharfes feines Bellen gerade über ihrem Kopfe und sah eilig auf.

Ein ungeheuer großer junger Hund sah mit seinen hervorstehenden runden Augen auf sie herab und machte einen schwachen Versuch, eine Pfote auszustrecken und sie zu berühren. »Armes kleines Ding!« sagte Alice in liebkosendem Tone, und sie gab sich alle Mühe, ihm zu pfeifen; dabei hatte sie aber große Angst, ob er auch nicht hungrig wäre, denn dann würde er sie wahrscheinlich auffressen trotz allen Liebkosungen.

Ohne recht zu wissen was sie that, nahm sie ein Stäbchen auf und hielt es ihm hin; worauf das ungeschickte Thierchen mit allen vier Füßen zugleich in die Höhe sprang, vor Entzücken laut aufbellte, auf das Stäbchen losrannte und That, als wolle es es zerreißen; da wich Alice ihm aus hinter eine große Distel, um nicht zertreten zu werden; und so wie sie auf der andern Seite hervorkam, lief der junge Hund wieder auf das Stäbchen los und fiel kopfüber in seiner Eile, es zu fangen. Alice, der es vorkam, als wenn Jemand mit einem Fuhrmannspferde Zeck spielt, und die jeden Augenblick fürchtete, unter seine Füße zu gerathen, lief wieder hinter die Distel; da machte der junge Hund eine Reihe von kurzen Anläufen auf das Stäbchen, wobei er jedes Mal ein klein wenig vorwärts und ein gutes Stück zurück rannte und sich heiser bellte, bis er sich zuletzt mit zum Munde heraushängender Zunge und halb geschlossenen Augen, ganz außer Athem hinsetzte.

Dies schien Alice eine gute Gelegenheit zu sein, fortzukommen; sie machte sich also gleich davon, und rannte bis sie ganz müde war und keine Luft mehr hatte, und bis das Bellen nur noch ganz schwach in der Ferne zu hören war.

»Und doch war es ein lieber kleiner Hund!« sagte Alice, indem sie sich an eine Butterblume lehnte um auszuruhen, und sich mit einem der Blätter fächelte. »Ich hätte ihn gern Kunststücke gelehrt, wenn – wenn ich nur groß genug dazu gewesen wäre! O ja! das hätte ich beinah vergessen, ich muß ja machen, daß ich wieder wachse! Laß sehen – wie fängt man es doch an? Ich dächte, ich sollte irgend etwas essen oder trinken; aber die Frage ist, was?«

Das war in der That die Frage. Alice blickte um sich nach allen Blumen und Grashalmen; aber gar nichts sah aus, als ob es das Rechte sei, das sie unter den Umständen essen oder trinken müsse. In der Nähe wuchs ein großer Pilz, ungefähr so hoch wie sie; nachdem sie ihn sich von unten, von beiden Seiten, rückwärts und vorwärts betrachtet hatte, kam es ihr in den Sinn zu sehen, was oben darauf sei. Sie stellte sich also auf die Fußspitzen und guckte über den Rand des Pilzes, und sogleich begegnete ihr Blick dem einer großen blauen Raupe, die mit kreuzweise gelegten Armen da saß und ruhig aus einer großen Huhka rauchte, ohne die geringste Notiz von ihr noch sonst irgend Etwas zu nehmen.



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Fünftes Kapitel. Guter Rath von einer Raupe

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Die Raupe und Alice sahen sich eine Zeit lang schweigend an; endlich nahm die Raupe die Huhka aus dem Munde und redete sie mit schmachtender, langsamer Stimme an. »Wer bist du?« fragte die Raupe.

Das war kein sehr ermuthigender Anfang einer Unterhaltung. Alice antwortete, etwas befangen: »Ich – ich weiß es nicht recht, diesen Augenblick – vielmehr ich weiß, wer ich heut früh war, als ich aufstand; aber ich glaube, ich muß seitdem ein paar Mal verwechselt worden sein.«

»Was meinst du damit?« frage die Raupe strenge. »Erkläre dich deutlicher!«

»Ich kann mich nicht deutlicher erklären, fürchte ich, Raupe,« sagte Alice, »weil ich nicht ich bin, sehen Sie wohl?«

»Ich sehe nicht wohl,« sagte die Raupe.

»Ich kann es wirklich nicht besser ausdrücken,« erwiederte Alice sehr höflich, »denn ich kann es selbst nicht begreifen; und wenn man an einem Tage so oft klein und groß wird, wird man ganz verwirrt.«

»Nein, das wird man nicht,« sagte die Raupe.

»Vielleicht haben Sie es noch nicht versucht,« sagte Alice, »aber wenn Sie sich in eine Puppe verwandeln werden, das müssen Sie über kurz oder lang wie Sie wissen – und dann in einen Schmetterling, das wird sich doch komisch anfühlen, nicht wahr?«

»Durchaus nicht,« sagte die Raupe.

»Sie fühlen wahrscheinlich anders darin,« sagte Alice; »so viel weiß ich, daß es mir sehr komisch sein würde.«

»Dir!« sagte die Raupe verächtlich. »Wer bist du denn?«

Was sie wieder auf den Anfang der Unterhaltung zurückbrachte. Alice war etwas ärgerlich, daß die Raupe so sehr kurz angebunden war; sie warf den Kopf in die Höhe und sprach sehr ernst: »Ich dächte, Sie sollten mir erst sagen, wer Sie sind?«

»Weshalb?« fragte die Raupe.

Das war wieder eine schwierige Frage; und da sich Alice auf keinen guten Grund besinnen konnte und die Raupe sehr schlechter Laune zu sein schien, so ging sie ihrer Wege.

»Komm zurück!« rief ihr die Raupe nach, »ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen!«

Das klang sehr einladend; Alice kehrte wieder um und kam zu ihr zurück.

»Sei nicht empfindlich,« sagte die Raupe.

»Ist das Alles?« fragte Alice, ihren Aerger so gut sie konnte verbergend.

»Nein,« sagte die Raupe.

Alice dachte, sie wollte doch warten, da sie sonst nichts zu thun habe, und vielleicht würde sie ihr etwas sagen, das der Mühe werth sei. Einige Minuten lang rauchte die Raupe fort ohne zu reden; aber zuletzt nahm sie die Huhka wieder aus dem Munde und sprach: »Du glaubst also, du bist verwandelt?«

»Ich fürchte es fast, Raupe« sagte Alice, »ich kann Sachen nicht behalten wie sonst, und ich werde alle zehn Minuten größer oder kleiner!«

»Kannst welche Sachen nicht behalten?« fragte die Raupe.

»Ach, ich habe versucht zu sagen: Bei einem Wirthe etc.; aber es kam ganz anders!« antwortete Alice in niedergeschlagenem Tone.

»Sage her: Ihr seid alt, Vater Martin,« sagte die Raupe.

Alice faltete die Hände und fing an: –


»Ihr seid alt, Vater Martin,« so sprach Junker Tropf,

»Euer Haar ist schon lange ganz weiß;

Doch steht ihr so gerne noch auf dem Kopf.

Macht Euch denn das nicht zu heiß?«


»Als ich jung war,« der Vater zur Antwort gab,

»Da glaubt' ich, für's Hirn sei's nicht gut;

Doch seit ich entdeckt, daß ich gar keines hab',

So thu' ich's mit fröhlichem Muth.«


»Ihr seid alt,« sprach der Sohn, »wie vorhin schon gesagt,

Und geworden ein gar dicker Mann;

Drum sprecht, wie ihr rücklings den Purzelbaum schlagt.

Potz tausend! wie fangt ihr's nur an?«


»Als ich jung war,« der Alte mit Kopfschütteln sagt',

»Da rieb ich die Glieder mir ein

Mit der Salbe hier, die sie geschmeidig macht.

Für zwei Groschen Courant ist sie dein.«


»Ihr seid alt,« sprach der Bub', »und könnt nicht recht kau'n,

Und solltet euch nehmen in Acht;

Doch aßt ihr die Gans mit Schnabel und Klau'n;

Wie habt ihr das nur gemacht?«


»Ich war früher Jurist und hab' viel disputirt

Besonders mit meiner Frau;

Das hat so mir die Kinnbacken einexercirt,

Daß ich jetzt noch mit Leichtigkeit kau!«


»Ihr seid alt,« sagt der Sohn, »und habt nicht viel Witz,

Und doch seid ihr so geschickt;

Balancirt einen Aal auf der Nasenspitz'!

Wie ist euch das nur geglückt?«


»Drei Antworten hast du, und damit genug,

Nun laß mich kein Wort mehr hören;

Du Guck in die Welt thust so überklug,

Ich werde dich Mores lehren!«


»Das ist nicht richtig,« sagte die Raupe.

»Nicht ganz richtig, glaube ich,« sagte Alice schüchtern; »manche Wörter sind anders gekommen.«

»Es ist von Anfang bis zu Ende falsch,« sagte die Raupe mit Entschiedenheit, worauf eine Pause von einigen Minuten eintrat.

Die Raupe sprach zuerst wieder.

»Wie groß möchtest du gern sein?« fragte sie.

»Oh, es kommt nicht so genau darauf an,« erwiederte Alice schnell; »nur das viele Wechseln ist nicht angenehm, nicht wahr?«

»Nein, es ist nicht wahr!« sagte die Raupe.

Alice antwortete nichts; es war ihr im Leben nicht so viel widersprochen worden, und sie fühlte, daß sie wieder anfing, empfindlich zu werden.

»Bist du jetzt zufrieden?« sagte die Raupe.

»Etwas größer, Frau Raupe, wäre ich gern, wenn ich bitten darf,« sagte Alice; »drei und einen halben Zoll ist gar zu winzig.«

»Es ist eine sehr angenehme Größe, finde ich,« sagte die Raupe zornig und richtete sich dabei in die Höhe (sie war gerade drei Zoll hoch).

»Aber ich bin nicht daran gewöhnt!« vertheidigte sich die arme Alice in weinerlichem Tone. Bei sich dachte sie: »Ich wünschte, alle diese Geschöpfe nähmen nicht Alles gleich übel.«

»Du wirst es mit der Zeit gewohnt werden,« sagte die Raupe, steckte ihre Huhka in den Mund und fing wieder an zu rauchen.

Diesmal wartete Alice geduldig, bis es ihr gefällig wäre zu reden. Nach zwei oder drei Minuten nahm die Raupe die Huhka aus dem Munde, gähnte ein bis zwei Mal und schüttelte sich. Dann kam sie von dem Pilze herunter, kroch in's Gras hinein und bemerkte blos bei'm Weggehen: »Die eine Seite macht dich größer, die andere Seite macht dich kleiner.«

»Eine Seite wovon? die andere Seite wovon?« dachte Alice bei sich.

»Von dem Pilz,« sagte die Raupe, gerade als wenn sie laut gefragt hätte; und den nächsten Augenblick war sie nicht mehr zu sehen.

Alice blieb ein Weilchen gedankenvoll vor dem Pilze stehen, um ausfindig zu machen, welches seine beiden Seiten seien; und da er vollkommen rund war, so fand sie die Frage schwierig zu beantworten. Zuletzt aber reichte sie mit beiden Armen, so weit sie herum konnte, und brach mit jeder Hand etwas vom Rande ab.

»Nun aber, welches ist das rechte?« sprach sie zu sich, und biß ein wenig von dem Stück in ihrer rechten Hand ab, um die Wirkung auszuprobiren; den nächsten Augenblick fühlte sie einen heftigen Schmerz am Kinn, es hatte an ihren Fuß angestoßen!

Ueber diese plötzliche Verwandlung war sie sehr erschrocken, aber da war keine Zeit zu verlieren, da sie sehr schnell kleiner wurde; sie machte sich also gleich daran, etwas von dem andern Stück zu essen. Ihr Kinn war so dicht an ihren Fuß gedrückt, daß ihr kaum Platz genug blieb, den Mund aufzumachen; endlich aber gelang es ihr, ein wenig von dem Stück in ihrer linken Hand herunter zu schlucken.


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»Ah! endlich ist mein Kopf frei!« rief Alice mit Entzücken, das sich jedoch den nächsten Augenblick in Angst verwandelte, da sie merkte, daß ihre Schultern nirgends zu finden waren: als sie hinunter sah, konnte sie weiter nichts erblicken, als einen ungeheuer langen Hals, der sich wie eine Stange aus einem Meer von grünen Blättern erhob, das unter ihr lag.

»Was mag all das grüne Zeug sein?« sagte Alice. »Und wo sind meine Schultern nur hingekommen? Und ach, meine armen Hände, wie geht es zu, daß ich euch nicht sehen kann?« Sie griff bei diesen Worten um sich, aber es erfolgte weiter nichts, als eine kleine Bewegung in den entfernten grünen Blättern.

Da es ihr nicht gelang, die Hände zu ihrem Kopfe zu erheben, so versuchte sie, den Kopf zu ihnen hinunter zu bücken, und fand zu ihrem Entzücken, daß sie ihren Hals in alle Richtungen biegen und wenden konnte, wie eine Schlange. Sie hatte ihn gerade in ein malerisches Zickzack gewunden und wollte eben in das Blättermeer hinunter tauchen, das, wie sie sah, durch die Gipfel der Bäume gebildet wurde, unter denen sie noch eben herum gewandert war, als ein lautes Rauschen sie plötzlich zurückschreckte: eine große Taube kam ihr in's Gesicht geflogen und schlug sie heftig mit den Flügeln.

»Schlange!« kreischte die Taube.

»Ich bin keine Schlange!« sagte Alice mit Entrüstung. »Laß mich in Ruhe!«

»Schlange sage ich!« wiederholte die Taube, aber mit gedämpfter Stimme, und fuhr schluchzend fort: »Alles habe ich versucht, und nichts ist ihnen genehm!«

»Ich weiß gar nicht, wovon du redest,« sagte Alice.

»Baumwurzeln habe ich versucht, Flußufer habe ich versucht, Hecken habe ich versucht,« sprach die Taube weiter, ohne auf sie zu achten; »aber diese Schlangen! Nichts ist ihnen recht!«

Alice verstand immer weniger; aber sie dachte, es sei unnütz etwas zu sagen, bis die Taube fertig wäre.

»Als ob es nicht Mühe genug wäre, die Eier auszubrüten,« sagte die Taube, »da muß ich noch Tag und Nacht den Schlangen aufpassen! Kein Auge habe ich die letzten drei Wochen zugethan!«

»Es thut mir sehr leid, daß du so viel Verdruß gehabt hast,« sagte Alice, die zu verstehen anfing, was sie meinte.

»Und gerade da ich mir den höchsten Baum im Walde ausgesucht habe,« fuhr die Taube mit erhobener Stimme fort, »und gerade da ich dachte, ich wäre sie endlich los, müssen sie sich sogar noch vom Himmel herunterwinden! Pfui! Schlange!«

»Aber ich bin keine Schlange, sage ich dir!« rief Alice, »ich bin ein – ich bin ein –«

»Nun, was bist du denn?« fragte die Taube. »Ich merke wohl, daß du dir etwas ausdenken willst!«

»Ich – ich bin ein kleines Mädchen,« sagte Alice etwas unsicher, da sie an die vielfachen Verwandlungen dachte, die sie den Tag über schon durchgemacht hatte.

»Eine schöne Ausrede, wahrhaftig!« sagte die Taube im Tone tiefster Verachtung. »Ich habe mein Lebtag genug kleine Mädchen gesehen, aber nie eine mit solch einem Hals! Nein, nein! du bist eine Schlange! das kannst du nicht abläugnen. Du wirst am Ende noch behaupten, daß du nie ein Ei gegessen hast.«

»Ich habe Eier gegessen, freilich,« sagte Alice, die ein sehr wahrheitsliebendes Kind war; »aber kleine Mädchen essen Eier eben so gut wie Schlangen.«

»Das glaube ich nicht,« sagte die Taube; »wenn sie es aber thun, nun dann sind sie eine Art Schlangen, so viel weiß ich.«

Das war etwas so Neues für Alice, daß sie ein Paar Minuten ganz still schwieg; die Taube benutzte die Gelegenheit und fuhr fort: »Du suchst Eier, das weiß ich nur zu gut, und was kümmert es mich, ob du ein kleines Mädchen oder eine Schlange bist?«

»Aber mich kümmert es sehr,« sagte Alice schnell; »übrigens suche ich zufällig nicht Eier, und wenn ich es thäte, so würde ich deine nicht brauchen können; ich esse sie nicht gern roh.«

»Dann mach', daß du fortkommst!« sagte die Taube verdrießlich, in dem sie sich in ihrem Nest wieder zurecht setzte. Alice duckte sich unter die Bäume so gut sie konnte; denn ihr Hals verwickelte sich fortwährend in die Zweige, und mehrere Male mußte sie anhalten und ihn losmachen. Nach einer Weile fiel es ihr wieder ein, daß sie noch die Stückchen Pilz in den Händen hatte, und sie machte sich sorgfältig daran, knabberte bald an dem einen, bald an dem andern, und wurde abwechselnd größer und kleiner, bis es ihr zuletzt gelang, ihre gewöhnliche Größe zu bekommen.

Es war so lange her, daß sie auch nur ungefähr ihre richtige Größe gehabt hatte, daß es ihr erst ganz komisch vorkam; aber nach einigen Minuten hatte sie sich daran gewöhnt und sprach mit sich selbst wie gewöhnlich. »Schön, nun ist mein Plan ausgeführt! Wie verwirrt man von dem vielen Wechseln wird! Ich weiß nie, wie ich den nächsten Augenblick sein werde! Doch jetzt habe ich meine richtige Größe: nun kommt es darauf an, in den schönen Garten zu gelangen – wie kann ich das anstellen? das möchte ich wissen!« Wie sie dies sagte, kam sie in eine Lichtung mit einem Häuschen in der Mitte, ungefähr vier Fuß hoch. »Wer auch darin wohnen mag, es geht nicht an, daß ich so groß wie ich jetzt bin hineingehe: sie würden vor Angst nicht wissen wohin!« Also knabberte sie wieder an dem Stückchen in der rechten Hand, und wagte sich nicht an das Häuschen heran, bis sie sich auf neun Zoll herunter gebracht hatte.


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Sechstes Kapitel. Ferkel und Pfeffer.

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Noch ein bis zwei Augenblicke stand sie und sah das Häuschen an, ohne recht zu wissen was sie nun thun solle, als plötzlich ein Lackei in Livree vom Walde her gelaufen kam – (sie hielt ihn für einen Lackeien, weil er Livree trug, sonst, nach seinem Gesichte zu urtheilen, würde sie ihn für einen Fisch angesehen haben) – und mit den Knöcheln laut an die Thür klopfte. Sie wurde von einem andern Lackeien in Livree geöffnet, der ein rundes Gesicht und große Augen wie ein Frosch hatte, und beide Lackeien hatten, wie Alice bemerkte, gepuderte Lockenperücken über den ganzen Kopf. Sie war sehr neugierig, was nun geschehen würde, und schlich sich etwas näher, um zuzuhören.

Der Fisch-Lackei fing damit an, einen ungeheuren Brief, beinah so groß wie er selbst, unter dem Arme hervorzuziehen; diesen überreichte er dem anderen, in feierlichem Tone sprechend: »Für die Herzogin. Eine Einladung von der Königin, Croquet zu spielen.« Der Frosch-Lackei erwiederte in demselben feierlichen Tone, indem er nur die Aufeinanderfolge der Wörter etwas veränderte: »Von der Königin. Eine Einladung für die Herzogin, Croquet zu spielen.«

Dann verbeugten sich Beide tief, und ihre Locken verwickelten sich in einander.

Darüber lachte Alice so laut, daß sie in das Gebüsch zurücklaufen mußte, aus Furcht, sie möchten sie hören, und als sie wieder herausguckte, war der Fisch-Lackei fort, und der andere saß auf dem Boden bei der Thür und sah dumm in den Himmel hinauf.

Alice ging furchtsam auf die Thür zu und klopfte.

»Es ist durchaus unnütz, zu klopfen,« sagte der Lackei, »und das wegen zweier Gründe. Erstens weil ich an derselben Seite von der Thür bin wie du, zweitens, weil sie drinnen einen solchen Lärm machen, daß man dich unmöglich hören kann.« Und wirklich war ein ganz merkwürdiger Lärm drinnen, ein fortwährendes Heulen und Niesen, und von Zeit zu Zeit ein lautes Krachen, als ob eine Schüssel oder ein Kessel zerbrochen wäre.

»Bitte,« sagte Alice, »wie soll ich denn hineinkommen?«

»Es wäre etwas Sinn und Verstand darin, anzuklopfen,« fuhr der Lackei fort, ohne auf sie zu hören, »wenn wir die Thür zwischen uns hätten. Zum Beispiel, wenn du drinnen wärest, könntest du klopfen, und ich könnte dich herauslassen, nicht wahr?« Er sah die ganze Zeit über, während er sprach, in den Himmel hinauf, was Alice entschieden sehr unhöflich fand. »Aber vielleicht kann er nicht dafür,« sagte sie bei sich; »seine Augen sind so hoch oben auf seiner Stirn. Aber jedenfalls könnte er mir antworten. – Wie soll ich denn hineinkommen?« wiederholte sie laut.

»Ich werde hier sitzen,« sagte der Lackei, »bis morgen –«

In diesem Augenblicke ging die Thür auf, und ein großer Teller kam heraus geflogen, gerade auf den Kopf des Lackeien los; er strich aber über seine Nase hin und brach an einem der dahinterstehenden Bäume in Stücke.

»– oder übermorgen, vielleicht,« sprach der Lackei in demselben Tone fort, als ob nichts vorgefallen wäre.

»Wie soll ich denn hineinkommen?« fragte Alice wieder, lauter als vorher.

»Sollst du überhaupt hineinkommen?« sagte der Lackei. »Das ist die erste Frage, nicht wahr?«

Das war es allerdings; nur ließ sich Alice das nicht gern sagen. »Es ist wirklich schrecklich,« murmelte sie vor sich hin, »wie naseweis alle diese Geschöpfe sind. Es könnte Einen ganz verdreht machen!«

Der Lackei schien dies für eine gute Gelegenheit anzusehen, seine Bemerkung zu wiederholen, und zwar mit Variationen. »Ich werde hier sitzen,« sagte er, »ab und an, Tage und Tage lang.«

»Was soll ich aber thun?« frage Alice.

»Was dir gefällig ist,« sagte der Lackei, und fing an zu pfeifen.

»Es hilft zu nichts, mit ihm zu reden,« sagte Alice außer sich, »er ist vollkommen blödsinnig!« Sie klinkte die Thür auf und ging hinein.

Die Thür führte geradewegs in eine große Küche, welche von einem Ende bis zum andern voller Rauch war; in der Mitte saß auf einem dreibeinigen Schemel die Herzogin, mit einem Wickelkinde auf dem Schoße; die Köchin stand über das Feuer gebückt und rührte in einer großen Kasserole, die voll Suppe zu sein schien.

»In der Suppe ist gewiß zu viel Pfeffer!« sprach Alice für sich, so gut sie vor Niesen konnte.

Es war wenigstens zu viel in der Luft. Sogar die Herzogin nieste hin und wieder; was das Wickelkind anbelangt, so nieste und schrie es abwechselnd ohne die geringste Unterbrechung. Die beiden einzigen Wesen in der Küche, die nicht niesten, waren die Köchin und eine große Katze, die vor dem Herde saß und grinste, sodaß die Mundwinkel bis an die Ohren reichten.

»Wollen Sie mir gütigst sagen,« fragte Alice etwas furchtsam, denn sie wußte nicht recht, ob es sich für sie schicke zuerst zu sprechen, »warum Ihre Katze so grinst?«

»Es ist eine Grinse-Katze,« sagte die Herzogin, »darum! Ferkel!«

Das letzte Wort sagte sie mit solcher Heftigkeit, daß Alice auffuhr; aber den nächsten Augenblick sah sie, daß es dem Wickelkinde galt, nicht ihr; sie faßte also Muth und redete weiter: –

»Ich wußte nicht, daß Katzen manchmal grinsen; ja ich wußte nicht, daß Katzen überhaupt grinsen können.«

»Sie können es alle,« sagte die Herzogin, »und die meisten thun es.«

»Ich kenne keine, die es thut,« sagte Alice sehr höflich, da sie ganz froh war, eine Unterhaltung angeknüpft zu haben.

»Du kennst noch nicht viel,« sagte die Herzogin, »und das ist die Wahrheit.«

Alice gefiel diese Bemerkung gar nicht, und sie dachte daran, welchen andern Gegenstand der Unterhaltung sie einführen könnte. Während sie sich auf etwas Passendes besann, nahm die Köchin die Kasserole mit Suppe vom Feuer und fing sogleich an, Alles was sie erreichen konnte nach der Herzogin und dem Kinde zu werfen – die Feuerzange kam zuerst, dann folgte ein Hagel von Pfannen, Tellern und Schüsseln. Die Herzogin beachtete sie gar nicht, auch wenn sie sie trafen; und das Kind heulte schon so laut, daß es unmöglich war zu wissen, ob die Stöße ihm weh thaten oder nicht.

»Oh, bitte, nehmen Sie sich in Acht, was Sie thun!« rief Alice, die in wahrer Herzensangst hin und her sprang. »Oh, seine liebe kleine Nase!« als eine besonders große Pfanne dicht daran vorbeifuhr und sie beinah abstieß.

»Wenn Jeder nur vor seiner Thür fegen wollte,« brummte die Herzogin mit heiserer Stimme, »würde die Welt sich bedeutend schneller drehen, als jetzt.«

»Was kein Vortheil wäre,« sprach Alice, die sich über die Gelegenheit freute, ihre Kenntnisse zu zeigen. »Denken Sie nur, wie es Tag und Nacht in Unordnung bringen würde! Die Erde braucht doch jetzt vier und zwanzig Stunden, sich um ihre Achse zu drehen –«

»Was, du redest von Axt?« sagte die Herzogin. »Hau' ihr den Kopf ab!«

Alice sah sich sehr erschrocken nach der Köchin um, ob sie den Wink verstehen würde; aber die Köchin rührte die Suppe unverwandt und schien nicht zuzuhören, daher fuhr sie fort: »Vier und zwanzig Stunden, glaube ich; oder sind es zwölf? Ich –«

»Ach laß mich in Frieden,« sagte die Herzogin, »ich habe Zahlen nie ausstehen können!« Und damit fing sie an, ihr Kind zu warten und eine Art Wiegenlied dazu zu singen, wovon jeder Reihe mit einem derben Puffe für das Kind endigte: –


»Schilt deinen kleinen Jungen aus,

Und schlag' ihn, wenn er niest;

Er macht es gar so bunt und kraus,

Nur weil es uns verdrießt.«


Chor

in welchen die Köchin und das Wickelkind einfielen.


»Wau! wau! wau!«


Während die Herzogin den zweiten Vers des Liedes sang, schaukelte sie das Kind so heftig auf und nieder, und das arme kleine Ding schrie so, daß Alice kaum die Worte verstehen konnte: –


»Ich schelte meinen kleinen Wicht,

Und schlag' ihn, wenn er niest;

Ich weiß, wie gern er Pfeffer riecht,

Wenn's ihm gefällig ist.«


Chor.


»Wau! wau! wau!«


»Hier, du kannst ihn ein Weilchen warten, wenn du willst!« sagte die Herzogin zu Alice, indem sie ihr das Kind zuwarf. »Ich muß mich zurecht machen, um mit der Königin Croquet zu spielen,« damit rannte sie aus dem Zimmer. Die Köchin warf ihr eine Bratpfanne nach; aber sie verfehlte sie noch eben.

Alice hatte das Kind mit Mühe und Noth aufgefangen, da es ein kleines unförmiges Wesen war, das seine Arme und Beinchen nach allen Seiten ausstreckte, »gerade wie ein Seestern,« dachte Alice. Das arme kleine Ding stöhnte wie eine Lokomotive, als sie es fing, und zog sich zusammen und streckte sich wieder aus, so daß sie es die ersten Paar Minuten nur eben halten konnte.

Sobald sie aber die rechte Art entdeckt hatte, wie man es tragen mußte (die darin bestand, es zu einer Art Knoten zu drehen, und es dann fest beim rechten Ohr und linken Fuß zu fassen, damit es sich nicht wieder aufwickeln konnte), brachte sie es in's Freie. »Wenn ich dies Kind nicht mit mir nehme,« dachte Alice, »so werden sie es in wenigen Tagen umgebracht haben; wäre es nicht Mord, es da zu lassen?« Sie sprach die letzten Worte laut, und das kleine Geschöpf grunzte zur Antwort (es hatte mittlerweile aufgehört zu niesen). »Grunze nicht,« sagte Alice, »es paßt sich gar nicht für dich, dich so auszudrücken.«

Der Junge grunzte wieder, so daß Alice ihm ganz ängstlich in's Gesicht sah, was ihm eigentlich fehle. Er hatte ohne Zweifel eine sehr hervorstehende Nase, eher eine Schnauze als eine wirkliche Nase; auch seine Augen wurden entsetzlich klein für einen kleinen Jungen: Alles zusammen genommen, gefiel Alice das Aussehen des Kindes gar nicht. »Aber vielleicht hat es nur geweint,« dachte sie und sah ihm wieder in die Augen ob Thränen da seien.

Nein, es waren keine Thränen da. »Wenn du ein kleines Ferkel wirst, höre mal,« sagte Alice sehr ernst, »so will ich nichts mehr mit dir zu schaffen haben, das merke dir!« Das arme kleine Ding schluchzte (oder grunzte, es war unmöglich, es zu unterscheiden), und dann gingen sie eine Weile stillschweigend weiter.

Alice fing eben an, sich zu überlegen: »Nun, was soll ich mit diesem Geschöpf anfangen, wenn ich es mit nach Hause bringe?« als es wieder grunzte, so laut, daß Alice erschrocken nach ihm hinsah. Diesmal konnte sie sich nicht mehr irren: es war nichts mehr oder weniger als ein Ferkel, und sie sah, daß es höchst lächerlich für sie wäre, es noch weiter zu tragen.

Sie setzte also das kleine Ding hin und war ganz froh, als sie es ruhig in den Wald traben sah. »Das wäre in einigen Jahren ein furchtbar häßliches Kind geworden; aber als Ferkel macht es sich recht nett, finde ich.« Und so dachte sie alle Kinder durch, die sie kannte, die gute kleine Ferkel abgeben würden, und sagte gerade für sich: »wenn man nur die rechten Mittel wüßte, sie zu verwandeln –« als sie einen Schreck bekam; die Grinse-Katze saß nämlich wenige Fuß von ihr auf einem Baumzweige.

Die Katze grinste nur, als sie Alice sah. »Sie sieht gutmüthig aus,« dachte diese; aber doch hatte sie sehr lange Krallen und eine Menge Zähne. Alice fühlte wohl, daß sie sie rücksichtsvoll behandeln müsse.

»Grinse-Mies,« fing sie etwas ängstlich an, da sie nicht wußte, ob ihr der Name gefallen würde: jedoch grinste sie noch etwas breiter. »Schön, so weit gefällt es ihr,« dachte Alice und sprach weiter: »willst du mir wohl sagen, wenn ich bitten darf, welchen Weg ich hier nehmen muß?«

»Das hängt zum guten Theil davon ab, wohin du gehen willst,« sagte die Katze.

»Es kommt mir nicht darauf an, wohin –« sagte Alice.

»Dann kommt es auch nicht darauf an, welchen Weg du nimmst,« sagte die Katze.

»– wenn ich nur irgendwo hinkomme,« fügte Alice als Erklärung hinzu.

»O, das wirst du ganz gewiß,« sagte die Katze, »wen du nur lange genug gehest.«

Alice sah, daß sie nichts dagegen einwenden konnte; sie versuchte daher eine andere Frage. »Was für Art Leute wohnen hier in der Nähe?!«

»In der Richtung,« sagte die Katze, die rechte Pfote schwenkend, »wohnt ein Hutmacher, und in jener Richtung,« die andere Pfote schwenkend, »wohnt ein Faselhase. Besuche welchen du willst: sie sind beide toll.«

»Aber ich mag nicht zu tollen Leuten gehen,« bemerkte Alice.

»Oh, das kannst du nicht ändern,« sagte die Katze: »wir sind alle toll hier. Ich bin toll. Du bist toll.«

»Woher weißt du, daß ich toll bin?« fragte Alice.

»Du mußt es sein,« sagte die Katze, »sonst wärest du nicht hergekommen.«

Alice fand durchaus nicht, daß das ein Beweis sei; sie fragte jedoch weiter: »Und woher weißt du, daß du toll bist?«

»Zu allererst,« sagte die Katze, »ein Hund ist nicht toll. Das giebst du zu?«

»Zugestanden!« sagte Alice.

»Nun, gut,« fuhr die Katze fort, »nicht wahr ein Hund knurrt, wenn er böse ist, und wedelt mit dem Schwanze, wenn er sich freut. Ich hingegen knurre, wenn ich mich freue, und wedle mit dem Schwanze, wenn ich ärgerlich bin. Daher bin ich toll.«

»Ich nenne es spinnen, nicht knurren,« sagte Alice.

»Nenne es, wie du willst,« sagte die Katze. »Spielst du heut Croquet mit der Königin?«

»Ich möchte es sehr gern,« sagte Alice, »Aber ich bin noch nicht eingeladen worden.«

»Du wirst mich dort sehen,« sagte die Katze und verschwand.

Alice wunderte sich nicht sehr darüber; sie war so daran gewöhnt, daß sonderbare Dinge geschahen. Während sie noch nach der Stelle hinsah, wo die Katze gesessen hatte, erschien sie plötzlich wieder.

»Uebrigens, was ist aus dem Jungen geworden?« sagte die Katze. »Ich hätte beinah vergessen zu fragen.«

»Er ist ein Ferkel geworden,« antwortete Alice sehr ruhig, gerade wie wenn die Katze auf gewöhnliche Weise zurückgekommen wäre.

»Das dachte ich wohl,« sagte die Katze und verschwand wieder.

Alice wartete noch etwas, halb und halb erwartend, sie wieder erscheinen zu sehen; aber sie kam nicht, und ein Paar Minuten nachher ging sie in der Richtung fort, wo der Faselhase wohnen sollte. »Hutmacher habe ich schon gesehen,« sprach sie zu sich, »der Faselhase wird viel interessanter sein.« Wie sie so sprach, blickte sie auf, und da saß die Katze wieder auf einem Baumzweige. »Sagtest du Ferkel oder Fächer?« fragte sie. »Ich sagte Ferkel,« antwortete Alice, »und es wäre mir sehr lieb, wenn du nicht immer so schnell erscheinen und verschwinden wolltest: du machst Einen ganz schwindlig.«

»Schon gut,« sagte die Katze, und diesmal verschwand sie ganz langsam, wobei sie mit der Schwanzspitze anfing und mit dem Grinsen aufhörte, das noch einige Zeit sichtbar blieb, nachdem das Uebrige verschwunden war.

»Oho, ich habe oft eine Katze ohne Grinsen gesehen,« dachte Alice, »Aber ein Grinsen ohne Katze! so etwas Merkwürdiges habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen!«

Sie brauchte nicht weit zu gehen, so erblickte sie das Haus des Faselhasen; sie dachte, es müsse das rechte Haus sein, weil die Schornsteine wie Ohren geformt waren, und das Dach war mit Pelz bedeckt. Es war ein so großes Haus, daß, ehe sie sich näher heran wagte, sie ein wenig von dem Stück Pilz in ihrer linken Hand abknabberte, und sich bis auf zwei Fuß hoch brachte: trotzdem näherte sie sich etwas furchtsam, für sich sprechend: »Wenn er nur nicht ganz rasend ist! Wäre ich doch lieber zu dem Hutmacher gegangen!«


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